EU-Chefin von der Leyen: Jetzt beginnt das große Zittern
Stell dir vor, du wirst als Wahlsieger gefeiert – und könntest am Ende doch mit leeren Händen dastehen!
Noch werden Stimmen der Europawahl gezählt, noch wird gerechnet. Was im Fall von Italien (Wahllokale bis 23 Uhr geöffnet) noch Stunden oder Tage dauern kann.
Doch die Tendenz ist klar: Wie von Umfragen vorhergesagt wird die Europäische Volkspartei (EVP), also die Mitte-Rechts-Parteien mit Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen (65, CDU), stärkste Kraft im zehnten Europäischen Parlament. Mit Rückenwind aus Deutschland. Zugeschaltet aus Brüssel gratulierte die EU-Chefin „ihrer“ CDU bereits zu einem „tollen Ergebnis“.
Was längst nicht klar ist: Wird die Wahlsiegerin mit einer zweiten Amtszeit belohnt? Oder geht es ihr dieses Mal wie 2019 dem CSU-Europapolitiker Manfred Weber (51), den die Staats- und Regierungschefs auf Betreiben vom Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (46) zu ihren Gunsten abservierten?
++ Lesen Sie hier den Live-Ticker zur EU-Wahl ++
Wiederholt sich das Drama von 2019?
Klar ist: Wenn sich die illustre Runde der 27 Staats- und Regierungschefs am 17. Juni im Europagebäude, dem Sitz des Europäischen Rats, zum Abendessen trifft, um sich auf einen Vorschlag für die Kommissionsspitze zu einigen, bleibt von der Leyen Favoritin.
Macron hatte sie 2019 vorgeschlagen, mit Bundeskanzler Olaf Scholz (65, SPD) saß sie einst halbwegs friedlich am GroKo-Kabinettstisch, zu Italiens Rechtsaußen-Regentin Giorgia Meloni (47) fand sie allen Unkenrufen zum Trotz einen Draht.
Doch gerade dieser Flirt mit dem Rechtsaußen-Lager nahmen ihr die bisherigen Partner im Parlament – Sozialisten und Liberale – krumm. Problem: Die Mitte-links-Parteien wollen auf keinen Fall mit Reizfiguren wie Ungarns Viktor Orbán und eben Meloni stimmen. Umgekehrt ist es nicht viel anders.
Die Frage, an der sich alles entscheidet: Findet von der Leyen, die 2019 nur hauchdünn die geheime Parlamentsabstimmung gewann, ein zweites Mal eine überparteiliche Mehrheit?
Ursula von der Leyen ist Favoritin, aber…
EU-Diplomaten zweifeln und warnen: Eine Hängepartie muss in Anbetracht der turbulenten Lage von Ukraine-Krieg über China-Spannungen bis US-Wahl dringend vermieden werden. Am 18. Juli soll das Parlament die wichtigste Brüssel-Personalie (an der auch alle anderen Top-Jobs hängen) absegnen.
▶︎ Für Ursula von der Leyen spricht der Wunsch nach Kontinuität. Auch in der Politik gilt das alte Sprichwort: „Mitten im Strom soll man die Pferde nicht wechseln“. Zumal sich ihre Bilanz sehen lassen kann, das Ergebnis bei der Europawahl erst Recht, so dass viel dafür spricht, dass Wahl-Verlierer Olaf Scholz sie vorschlägt.
Jedenfalls ist das die klare Erwartung von EVP-Chef Manfred Weber (51, CSU). Weber zu BILD: „Es wäre ein Fehler, das demokratische Ergebnis der Europawahl zu missachten. Die EVP hat die Wahl gewonnen. Ich gehe davon aus, dass der Bundeskanzler Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin vorschlägt. Und die Ampel-Partei sollten sie im Europäischen Parlament unterstützen.“
▶︎ Gegen die Deutsche spricht: Bei anderen Kandidaten könnte die Mehrheitsbildung leichter werden. Deswegen wird in Brüssel seit Wochen über Alternativ-Kandidaten spekuliert, die weniger polarisieren.
Genannt werden Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (45) aus Malta, der griechische Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis (56), der kroatische Regierungschef Andrej Plenković (54) und der rumänische Präsident Klaus Johannis (64).
Zuletzt brachte sich auch noch Ex-EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani (70), ein früherer Berlusconi-Mann, ins Spiel.
Kocht Macron wieder sein eigenes Süppchen?
Und Macron, der zuletzt in seiner Dresdner Rede („Europa kann sterben“) vor dramatischen Bedrohungen gewarnt hat? Der Franzose, der von der Leyen 2019 ins Amt verholfen hat, überraschte dieses Mal, indem er den mit allen europäischen Wassern gewaschenen Italiener Mario Draghi (76, EX-EZB-Chef und Ministerpräsident von Italien) ins Spiel brachte.
Zu alt – sagen die einen. Ein Jahr jünger als Trump – kontern die anderen. Für Draghi und für alle anderen, die Ursula von der Leyens ihren Job abluchsen möchten, gilt allerdings: Sie standen am Sonntag nicht zur Wahl, würden dem Parlament vor die Nase gesetzt. Und das, so haben es etliche Abgeordnete 2019 gelobt, lässt man sich von Macron und Co. kein zweites Mal gefallen.
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